Ökolabel für strahlungsarme Handys: Blauer Engel

(Elektrosmog-Report, Juli 2002)

Nach monatelangem Gezerre zwischen Verbraucherschutz- und Industrieverbänden, Herstellern und der Bundesregierung wurde das Ökolabel für strahlungsarme Handys doch noch geboren: Die Jury Umweltzeichen hat einen "Blauen Engel" für Handys entwickelt. Bis jetzt boykottiert die Industrie allerdings die Verwendung des Labels.

Wer künftig ein Handy kauft, wird neben Design und Funktionen auch nach dem Blauen Engel seine Entscheidung treffen können. Die Jury Umweltzeichen beschloss Mitte Juni, strahlungsarme Handys mit dem Zeichen zu kennzeichnen. Der Vorsitzende der Jury, Gerd Billen, sagte: "Unser Gütesiegel soll Anreiz für die Hersteller sein, dem Vorsorgegedanken bei der Entwicklung künftiger Handy-Generationen Rechnung zu tragen. Es gibt bereits heute Geräte auf dem Markt, die sich durch besonders niedrige Werte auszeichnen und schon heute den Blauen Engel tragen könnten."
Auch Bundesumweltminister Jürgen Trittin bewertete das Ökolabel für Handys positiv: "Der Blaue Engel als Kennzeichen für strahlungsarme Handys erleichtert Kunden die Orientierung und bietet eine Entscheidungshilfe vor dem Kauf", es sei ein "positives Signal für Wirtschaft und Verbraucher".

Kriterien für die Vergabe des Blauen Engels

Den Blauen Engel erhält ein Handy, das übersichtliche Verbraucherinformationen, recyclinggerechte Konstruktion und kostenlose Rücknahme und Verwertung bietet. Es muss jedoch vor allem einen SAR-Wert von 0,6 W/kg vorweisen. Die spezifische Absorptionsrate (SAR) gibt an, welche Strahlungsleistung der Kopf beim Telefonieren aufnimmt. Der gesetzliche Grenzwert liegt in Deutschland bei 2 W/kg.
Zur Festlegung des Grenzwertes wurde in Deutschland eine Empfehlung der deutschem Strahlenschutzkommission (SSK) zugrundegelegt, die als Obergrenze einen Wert von 2 W/kg gemittelt über jeweils 10 g Körpergewebe nennt. Diese Empfehlung basiert auf einer Leitlinie der Internationalen Kommission zum Schutz vor Nichtionisierender Strahlung (ICNIRP), der sich auch der Rat der Europäischen Gemeinschaft angeschlossen hat.

Messverfahren und Ergebnisse

Im Herbst 2001 wurde auf europäischer Ebene (CENELEC) sowohl eine Grundnorm (EN 50361) zur Messung der spezifischen Absorptionsrate in Bezug auf die "Sicherheit von Personen in elektromagnetischen Feldern von Mobiltelefonen", als auch eine Produktnorm (EN 50360) zum Nachweis der "Übereinstimmung von Mobiltelefonen mit den Basisgrenzwerten hinsichtlich der Sicherheit von Personen in elektromagnetischen Feldern" verabschiedet. Diese Normen können de facto als internationale Standards betrachtet werden, da sie, gemäß einer Absprache zwischen CENELEC und IEC, von der IEC übernommen werden. Zudem sind sie von den Herstellern akzeptiert.
Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) hat im Mai 2002 eine Erhebung der marktüblichen Handys durchgeführt. Diese Erhebung umfasst insgesamt 134 Gerätetypen, wobei für 84 Handys ein standardisierter (maximaler) SAR Wert ermittelt werden konnte. Auf den Internetseiten des BfS finden sich die Messergebnisse (Adresse siehe unter "Quellen", weitere SAR-Werte von über 300 Modellen unter "www.HandyWerte.de"). Mit der Begrenzung des Ökolabels auf einen SAR-Wert bis 0,6 W/kg können laut BfS ca. 15% der derzeit auf dem deutschen Markt befindlichen Handys mit dem Gütesiegel ausgezeichnet werden. Diese verteilen sich über alle Hersteller - jeder Hersteller hat Geräte mit höheren und niedrigen SAR-Werten im Angebot.

SAR-Grenzwerte im Überblick

Um den SAR-Wert von 0,6 W/kg einordnen zu können, zeigt die Tabelle SAR-Grenz- und Vorsorgewerte verschiedener Institutionen. Oben in der Tabelle steht der bereits erwähnte ICNIRP-Grenzwert, der auch in den meisten europäischen Ländern gilt. Aufsehen erregen aktuelle Pläne der chinesischen Regierung, einen verbindlichen SAR-Grenzwert von 1,0 W/kg für Mobiltelefone einzuführen. Alle weiteren SAR-Werte in der Tabelle sind Vorsorgewerte bzw. Werte für Label.
Die schwedische TCO Development, bekannt durch ihre Labels für Computer-Bildschirme, hat im November 2001 die Richtlinien für ihr "TCO '01" Handy-Label in endgültiger Form verabschiedet. Das Label sieht einen maximalen SAR-Wert von 0,8 W/kg vor, der umgerechnet dem in den USA gültigen FCC-Wert entspricht.
Die schweizer Verbraucherzeitschrift K-Tipp hat die Handy-Auszeichung "geringe" SAR-Werte bzw. "sehr geringe" SAR-Werte an maximale Werte von 0,5 bzw. 0,25 W/kg geknüpft. Die strengsten Werte in der Tabelle sind die Vorsorgewerte des nova-Instituts (Hürth) bzw. der VERBRAUCHER INITIATIVE e.V. (Berlin). Aber auch diese strengen Werte werden bereits heute von sechs Geräten im D-Netz und mehr als zehn Geräten im E-Netz erfüllt (siehe "www.HandyWerte.de").

Tabelle: SAR-Grenz- und Vorsorgewerte verschiedener Institutionen (2002)
(in W/kg gemittelt über 10 g Körpergewebe)
SAR-Grenzwert Deutschland / EU / ICNIRP 2,0 W/kg
SAR-Grenzwert China (aktueller Vorschlag) 1,0 W/kg
TCO-Handy-Label (Schweden)
(entspricht dem FCC-Wert (USA) von 1,6 W/kg über 1 g Gewebe gemittelt)
0,8 W/kg
Blauer Engel, Ökolabel Jury Umweltzeichen 0,6 W/kg
K-Tipp (Verbraucherzeitschrift, Schweiz), Strahlung "gering" 0,5 W/kg
K-Tipp (Verbraucherzeitschrift, Schweiz), Strahlung "sehr gering" 0,25 W/kg
SAR-Vorsorgewert nova-Institut/VERBRAUCHER INITIATIVE 0,2 W/Kg

Bangladesch bereitet als erstes Land weltweit ein Gesetz vor, dass Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren den Gebrauch von Mobiltelefonen verbietet. Yameen Bakth, Umweltminister von Bangladesch, sagte, nichts genaues wisse man. Sicherlich, es gebe nur Hinweise, aber immerhin wäre es möglich, dass Handys den Hirnen Heranwachsender Schaden zufügen könnten. Besser sei es, meinte Bakth, da präventiv ein Verbot auszusprechen.

Verweigerungstaktik der Industrie

Von Seiten der Industrie gab es von Beginn an starken Widerstand gegen ein Ökolabel für strahlungsarme Handys. Hersteller und Netzbetreiber agieren dabei lieber hinter den Kulissen und halten sich alle Optionen offen - auch die, den Blauen Engel nach anfänglicher Verweigerung eben doch noch zu verwenden. So kritisiert Fritz Lauer, Leiter des Bereichs Umwelttechnik Mobilfunk der T-Mobile, zwar das Ökosiegel als Verbrauchertäuschung ("wir brauchen vernünftige Kriterien"), dennoch wird es ab August in allen T-Punkten eine ausführliche Beratung über strahlungsarme Handys geben: "Wir werden SAR-optimierte Geräte fördern".
Vorausgeschickt wird der bislang weitgehend unbekannte und unbedeutende "Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom)", der jeglichen Sinn des Ökolabels vehement abstreitet. Der Entwurf für die Vergabegrundlage sei vom Umweltbundesamt übereilt erarbeitet worden. "Was jetzt auf dem Tisch liegt, führt nur zur Fehlinformation und zur Verunsicherung des Nutzers", sagte Uwe Kullnick, Vorsitzender des Bitkom-Arbeitskreises "Mobilfunktechnik und Gesundheit", der noch vor wenigen Jahren einer der profundesten und schärfsten Kritiker der Mobilfunkbranche war und dann zur Industrie wechselte. Kullnick führt weiter aus, dass die tatsächliche Aufnahme der Strahlungsleistung im Körper im Wesentlichen durch Faktoren wie die Empfangssituation, Wahl des Netzes, Handhaltung oder Verwendung von Freisprechanlagen bestimmt sei. Der tatsächliche SAR-Wert könne so bis um den Faktor 1.000 unter dem unter ungünstigsten Bedingungen gemessenen maximalen SAR-Wert liegen. "Es wurde aus politischen Gründen ein irreführendes Umweltsiegel durchgedrückt, ohne die objektive Information der Nutzer zum Ziel zu haben und die sachlichen Einwände der Industrie zu berücksichtigen", kommentiert Uwe Kullnick. "Würden wir dieses Label verwenden, machten wir uns der Fehlinformation schuldig. Da wurde mal wieder ein Umweltsiegel für die Schublade produziert."
Dabei hat sich die Industrie durch ihre andauernde Verweigerungstaktik selber das Heft aus der Hand nehmen lassen. Unter dem weltweiten Verbraucherdruck hatten die führenden Handy-Hersteller im Sommer 2001 intern vereinbart, bis Ende 2001 die nach den neuen Normen (s.o.) ermittelten SAR-Werte in den Gebrauchsanleitungen der Mobiltelefone aufzunehmen und die Werte auch im Internet verfügbar zu machen. Was aber auf jeden Fall vermieden werden sollte, war die Transparenz für den Verbraucher: Die SAR-Werte stehen nicht auf der Verpackung, sondern werden in den Gebrauchsanleitungen versteckt. Auf den Internetseiten der Hersteller findet man die gesuchten SAR-Werte meist nur nach mühsamer Suche und Einstufungen wie "sehr niedrig" oder "niedrig", die dem Konsumenten eine einfache Orientierungshilfe geben könnten, wurden systematisch blockiert. Bitkom und Hersteller ließen zudem verlautbaren, dass die Käufer kaum Interesse an den SAR-Werten zeigten, entsprechende Informationen bewirkten keine große Resonanz.
Zur selben Zeit wurde die vom nova-Institut bereitgestellte Internetseite "www.HandyWerte.de", die die SAR-Werte nahezu aller Handys aufzeigt, seit Anfang Januar 2002 über 500.000mal aufgesucht.
Diese Verweigerungstaktik mit dem Ziel, jegliches Strahlungslabel für Handys zu verhindern, schien lange Zeit aufzugehen. De facto überließen Hersteller und Netzbetreiber es damit aber der Bundesregierung, dem Umweltbundesamt und den Verbraucherschutzverbänden ein Ökolabel für strahlungsarme Handys zu entwickeln - und verloren gleichzeitig ihren Einfluss auf das Label, was sie jetzt beklagen.

Der Handy-Markt
Es wird geschätzt, dass dieses Jahr weltweit etwa 400 Mio. Handys verkauft werden, was gegenüber 2001 eine Stagnation im Absatz bedeuten würde. Mit neuen Designs, Diensten und Funktionen wollen Netzbetreiber und Hersteller neuen Schwung in den Markt bringen. Weltweit nur fünf Hersteller decken 75% der Handyproduktion ab: Nokia 34,7%, Motorola 15,5%, Samsung 9,6%, Siemens 8,8% und Sony Ericsson 6,4%. Die Anteile der "Übrigen" sind von 39% in 2001 auf 25% in 2002 gesunken.

Bis jetzt lehnen die führenden Handy-Hersteller - über Verlautbarungen der Bitkom - die Verwendung des Blauen Engels kategorisch ab. Angesichts der stagnierenden Handy-Absätze und der mühsamen Suche nach neuen Kaufargumenten erscheint es aber nur als eine Frage der Zeit, wann die ersten Hersteller das Ökolabel offensiv im Marketing einsetzen. Und wenn der Verweigerungswall einmal aufgebrochen ist, gibt es kein Halten mehr. Dann werden vor allem Geschäftskunden aus Unternehmen und Behörden schon bald den Blauen Engel für die Handys Ihrer Mitarbeiter vorschreiben. Letztendlich hat die Handy-Branche nicht das Geringste gegen den Austausch jetziger Modelle durch neue, strahlungsarme Mobiltelefone einzuwenden. Vermutlich spielt die Branche nur auf Zeit, um ihre aktuellen Modellpaletten noch verkaufen zu können. Da macht es auch Sinn, jetzt Bitkom vorzuschicken, um dann zu gegebener Zeit von Herstellerseite aus Öko-Mobiltelefone präsentieren zu können.

Wie ist der Blaue Engel zu bewerten?

Die Verabschiedung des Blauen Engels für Mobiltelefone ist ein erster und wichtiger Schritt in Richtung strahlungsärmere Mobiltelefone und wird sicherlich nicht ohne Auswirkung auf den Mobiltelefonmarkt sowie die technische Weiterentwicklung der Handy-Antennen bleiben. Dennoch ist es schade, dass infolge der Verweigerungstaktik der Industrie kein noch besseres Handy-Label zustande kam. Es sollen hier drei Diskussionspunkte genannt werden.

  1. Immer wieder wird betont, dass der nach aktueller Norm gemessene maximale SAR-Wert kein guter Wert für die tatsächliche Belastung des Kopfes sei. So könne es vorkommen, dass ein scheinbar strahlungsärmeres Handy in der Praxis unter ungünstigen Sende/Empfangsbedingungen sogar zu mehr Belastung des Kopfes führt. Diese Kritik ist durchaus richtig. Das Problem liegt an der neuen CENELEC-Grundnorm EN 50360/61 zur standardisierten Messung des SAR-Wertes, die von der Industrie selbst entwickelt wurde. Ein sinnvollerer Standard wäre die Messung des SAR-Wertes unter definierten Sende/Empfangsbedingungen - und nicht bei maximaler Leistung, wie es die jetzige Norm vorsieht.
  2. Die schwedische TCO greift ebenso diese Problematik auf. Sie hat noch eine andere Größe zur Bewertung der Handy-Strahlungseigenschaften eingeführt, nämlich den TCP-Wert, wobei TCP für "Telephone Communication Power" steht. Dieser Wert soll angeben, wie viel der verbrauchten Leistung tatsächlich zur Kommunikation genutzt und z.B. nicht im Kopf des Handynutzers absorbiert wurde. Ein gutes Telefon nutzt möglichst viel der Leistung zur Kommunikation. Ein guter TCP-Wert stellt sicher, dass ein Handy eine möglichst geringe Belastung des Nutzers und gleichzeitig gute Kommunikationseigenschaften aufweist.
    Inzwischen hat TCO eine umfassende Studie zu den TCP-Werten verschiedener Handys durchgeführt. Die getesteten Handys nutzen im Durchschnitt nur ungefähr 16% ihrer nominellen Leistung für den eigentlichen Sendevorgang. Je nach Gerät lag der Nutzungsgrad zwischen 10 und 25%. Nur dieser kleine Teil der Gesamtleistung steht für den eigentlichen Zweck, die Kommunikation, zur Verfügung. Der größere Teil geht beispielsweise durch eine Fehlanpassung der Antenne, durch Absorption des Handygehäuses oder durch vom Kopf des Telefonierenden verursachte Rückkopplungen auf die Antenne verloren. Je höher die Kommunikationsleistung, desto geringer ist die in der Praxis notwendige Gesamtleistung und damit sinkt tendenziell auch die Belastung des Telefonierenden.
  3. Schließlich stellt sich die Frage, warum die Jury Umweltzeichen nicht einfach den TCO-Wert von 0,8 W/kg übernommen hat? Das TCO-Handylabel versucht, einen weltweiten Standard für strahlungsarme Mobiltelefone zu etablieren. Dies ist bisher nicht gelungen, kein Handy am deutschen Markt trägt das TCO-Zeichen. Ein gemeinsames Vorgehen von TCO und der Jury Umweltzeichen hätte die bestehende Verweigerungshaltung vielleicht schneller aufbrechen können. Die schwedische Normungsorganisation hatte Bundesumweltminister Jürgen Trittin explizit angeboten, ihr neues Label für Mobiltelefone in Deutschland einzuführen. "Wir würden uns freuen, Herrn Trittin mit unserem Gütesiegel auszuhelfen", sagte der TCO-Geschäftsführer Jan Rudling der Berliner Zeitung. Dazu kam es dann nicht.

Quellen:
  1. Böhret, B.: Sicherheit statt Elektrosmog. In: VDI nachrichten vom 07.06.02.
  2. Bönsch, R.: Blauer Engel sorgt für Wirbel. In: VDI nachrichten vom 21.06.02.
  3. Bundesamt für Strahlenschutz: Strahlenschutzkriterien für ein Mobiltelefon-Ökolabel, http://www.bfs.de/presse/aktuell/txt0203.htm (Juni 2002).
  4. c't newsticker vom 14.06.2002 (http://www.heise.de/newsticker/data/anm-14.06.02-001/)
  5. Gneitung, St.: Flügellahmer Engel - Diskussion um Gütesiegel für Handys, Heft 5/2002.
  6. Handyverbot für Kinder unter 16 Jahren in Bangladesh. In: Spiegel Online vom 04.06.2002 (http://www.spiegel.de/netzwelt/technologie/0,1518,199163,00.html )
  7. Reuters vom 24.05.2002.
  8. Weidelich, F.: Endlich locken wieder Handys. In: VDI nachrichten vom 28.06.02.
  9. Wendel, Th. H.: Schweden wollen Trittin bei Einführung von Handy-Siegel helfen. In: Berliner Zeitung vom 6./7.04.2002.